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Ursula.

Eine weitgeschnittene Bluse mit Pailletten in Giftgrün, Magenta und Gold, über den Brüsten zusammengehalten von einem metallisch glänzenden Band. Lange, kreischend rot angemalte Plastikfingernägel, farblich passend zum Lippenstift. Die Lippen absurd überzeichnet, die blondierten Haare hochtoupiert, wirkt sie wie eine Kopie von Tammy Faye. Mit den Händen ständig nervös nach irgendetwas suchend, nach irgendwas kramend – dem Notizblock, dem Kugelschreiber, dem Telefonhörer, der zwischen den sich auftürmenden Papieren verschwunden ist. Eigentlich ist sie nur so nervös, weil sie auf Entzug ist und heute anstatt der gewohnten 20 Zigaretten nur vier geraucht hat. Bis jetzt.

Sie ist die Herrscherin über das Vorzimmer und sie entscheidet, wer die heiligen Hallen des Arztes betreten darf. Sich ihrer Macht vollkommen bewusst, erledigt sie alles, was zu erledigen ist, in tödlicher Langsamkeit. Sie tippt etwas im Computer ein, überlegt, ob jetzt wirklich am 17. ein Termin frei ist. Sie nimmt einen Schluck schwarzen Kaffee aus einer absurd großen Tasse und verzieht das Gesicht, weil der Kaffee schon seit heute Morgen auf dem Schreibtisch steht. Jeden ihrer Finger schmückt ein goldener Ring – so wie es sich für eine Herrscherin gehört. Und bevor sie prüfen kann, ob wirklich am 17. der Termin frei ist – „weil dit is mir jetz nich janz klar, ham se nochmal 5 Minuten, dann tät ich das noch einmal bei der Frau Doktor nachfragen, ja?“ – klingelt das Telefon.

„Ach, der Christoph, ja, Mensch. Immer schön von dir zu hören, mein Lieber!“, sagt sie, lehnt sich genüsslich im Bürostuhl zurück und stößt ein tiefes, dröhnendes Lachen aus, die vor ihrem Schreibtisch Wartenden komplett ausblendend.

„Wie is bei dir heute? Alles jut bei dir, mein Lieber? Ach, schön, schön. Das hört man doch gern. Ja bei mir is auch alles jut. Alles entspannt, wie immer. Aber jetzt, wo du anrufst, isses besser, nech?“, wieder stößt sie das dröhende Lachen aus, während sie sich noch weiter im Stuhl zurücklehnt. Während ich darüber nachdenke, dass die reale Möglichkeit besteht, dass die Vorzimmer-Herrscherin gleich auf ihrem Stuhl hintenüber umkippt, kommt mir in den Sinn, dass sie eine wirkliche Ähnlichkeit mit Ursula, der Meerhexe, aufweist.

„Bist ja heute in Bereitschaft, nech? Ach, is wieder einer hinüber? Mhm ja. Blöd. Die Akten wollen se jetz ne? Ja, das hab ich mir gedacht, dass se jetz wieder die Akten wollen. Ja, da frag ich mich aber, wie se die bekommen wollen. Wat? Ja, weil se ins Archiv runter müssen dafür. Mh, wat sachste? INS ARCHIIIIIV müssen se, Christoph, wenn se an die Akten wollen, weeßte doch. Wie, weeßte nich? Ja, sach ich dir jetzt aber, dass se dat müssen, wenn sie die Akten wollen. Denk ich mir nich aus. Ja, ich werd ganz bestimmt nich daruntergehen, Christoph. Nee. Kannste vergessen. Komplett vergessen kannste das. Ja, da unten sind die Ratten. Geh ich nicht rein. Mach ich nicht. Nee. Kannste selber machen. Wie? Seit wann spielst du denn hier die Chef-Karte aus? Mh, was? Ja. Jaaa. JAHA. Ja, ich hol die Akten. Jaaahaaaaaa!!!“

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