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Louvre.

Ein vom Louvre in Paris inspirierter Beitrag.

„Oh! Molto bene!“, sagt eine Frau im roten Kleid, als sie die Statue eines Wolfes mit qualvoll verzogenem Gesicht am unteren Treppenabsatz sieht. Sie schiebt mich zur Seite, winkt schwungvoll ihren Begleiter herbei und stellt sich in Pose. Ein Bein angewinkelt, das Kreuz durchgedrückt, die glänzend rot angemalten Lippen zu einem Kussmund geformt. Sie zeigt auf die Wolfsstatue und ich frage mich, ob wir die gleiche Statue anschauen, denn was ich sehe, ist ein wirklich hässlicher Wolf mit harten Nippeln, der die Zähne bleckt. Da Geschmäcker ja bekanntlich unterschiedlich sind, zucke ich nur kurz mit den Schultern und gehe weiter die breite Treppe aus Granit, Marmor oder einem anderen harten Stein nach oben.

Ich sehe Menschen mit kurzen Hosen und Turnschuhen, andere mit kurzen Kleidern und High Heels, Kinder und Alte, Familien und Freunde und Paare. Reisegruppen mit Kunstexperten, die mit ernstem Blick in Headsets sprechen und Leute, die ihnen zuhören und mit ebenso ernstem Blick nicken. Ich schiebe mich durch die Massen, durch einen Torbogen hindurch und bleibe einen Moment lang mit offenem Mund stehen. Durch gekrümmte Oberlichter dringt milchiges Licht in einen mit dunklem Holz vertäfelten Raum mit Parkett in Fischgrätenmuster, in dem an den Wänden großformatige klassizistische Gemälde in mit Holzschnitzereien verzierten Rahmen hängen.

Ich kann den Raum nicht lange bewundern, denn ein Mann Mitte 40 mit Oberlippenbart und Chelsea-Trikot rennt mir in die Hacken und ich spüre seine Wampe an meinem Rücken, seine Bauchhaare pieksen sowohl durch sein Trikot als auch durch mein Hemd. „Oh, so sorry, love!“, sagt er mit britischem Akzent. Ich gehe weiter, vorbei an einem Stand, an dem Menschenmassen anstehen, um Postkarten, Puzzles, Jutebeutel, Geschirrtücher, Gießkannen, Pillendosen, Schneekugeln mit Mona-Lisa-Motiv zu kaufen. Ein Kind schreit, weil es Eis will. Jetzt. Ich lasse mich von den Menschenmassen mitziehen und stehe in einem langen, schlauchförmigen Raum mit langen, lederbezogenen Bänken in der Mitte des Raumes.

Noch mehr großformatige Gemälde, darunter „Das Begräbnis der Atala“ von Anne Louis Girodet de Roussy-Trioson. Atala hat sich umgebracht, weil sie durch eine romantische Beziehung zu einem Mitglied eines indigenen Volkes ihr Keuschheitsgelübde in Gefahr sah und sie sich lieber umbringen wollte, als ihren heiligen Eid zu brechen. Neben mir steht ein Pärchen Mitte 20, sie im kurzen Sommerkleid und auf ihr Smartphone starrend, er in Cargo-Hose und ausdruckslos auf das Bild starrend. „Wann willst du gehen?“, fragt sie, weiter in ihr Display starrend. „Wie du meinst“, antwortet er ausdruckslos, ohne sie anzusehen.

Während ich noch darüber nachdenke, ob man „Kunst im zeitlichen Kontext ihrer Entstehung betrachten“ muss, stehe ich schon vor „Das Floß der Medusa“ von Théodore Géricault, einem düsteren Gemälde – die Momentaufnahme eines Schiffsunglücks, das sich 1816 vor der westafrikanischen Küste zugetragen hat. Nackte oder nur mit Fetzen bekleidete, übereinandergestapelte, sich mit letzter Kraft an Fracktrümmer klammernde Leiber, teilweise verwundet, teilweise mit weit aufgerissenen, ins Nichts starrenden Augen. Eine Schulklasse sitzt im Halbkreis davor auf dem Boden. Man kann erkennen, dass die Kinder zusammengehören, weil sie alle die gleichen gelben Kappen tragen. Sie schauen die Schiffbrüchigen mit ebenso großen Augen an, wie diese sie anschauen. Während der Lehrer ihnen etwas auf Französisch erklärt, tuscheln und kichern sie, bis ihr Lehrer sie mit erhobenem Zeigefinger und einem scharfen, sehr lauten „Shhhhh!“ darauf aufmerksam macht, dass dies sowohl eines der wichtigsten Museen der Welt als auch immer noch eine Unterrichtsveranstaltung ist. Für eine Sekunde kehrt Ruhe im schlauchförmigen Raum ein, durch den sich Menschen Richtung Aufgang zum Flügel mit den italienischen Kunstwerken schieben, weil hier die Mona Lisa hängt. Doch die währt nur kurz.

Schon bald erfüllt das Stimmengewirr wieder den Raum, eine Gruppe beige gekleideter japanischer Touristen im Seniorenalter mit Reiseführer schiebt sich durch den Gang und ich meine zu sehen, wie einer der beiden kurz vor der Exekution stehenden Kinderprinzen auf dem Historiengemälde von Paul Delaroche aufgrund des Lärms missbilligend den Kopf schüttelt.

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