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Blaue Frau.

Für psychische oder seelische Verletzungen haben die Deutschen keinen Sinn, ob wegen ihrer Geschichte oder der Kartoffel, jedenfalls schlägt sich das nicht in der Gesetzgebung nieder.

Antje Rávik Strubel, Blaue Frau

Blaue Frau von Antje Rávik Strubel hat 2021 den Deutschen Buchpreis gewonnen. Deshalb wurde auch viel über das Buch berichtet, zum Beispiel in der Tagesschau. Dort wurde erwähnt, dass es in dem Buch um sexuelle Gewalt geht, oder konkreter: wie sich Gewalt auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt und wie strafrechtlich damit über verschiedene europäische Ländergrenzen hinweg umgegangen wird.

Das hat mein Interesse geweckt, denn Überlebende von Gewalt werden in unserer Gesellschaft unsichtbar gemacht oder zum Schweigen gebracht. Es ist ein Reizthema, über das sich viele Betroffene nicht trauen, offen, das heißt: ohne ihre Identität zu verschleiern, zu schreiben, zum Beispiel, weil ihnen dann unterstellt wird, dass sie lügen. Oder weil sie dann von Täter*innen dazu gedrängt werden, zu schweigen. Oder weil sie dann ausgeschlossen oder anders behandelt werden – so als wären sie weniger wert, weniger fähig, weniger belastbar oder krank.

Auch wenn in den Medien über sexuelle Gewalt berichtet wird, ist das oft klischeebeladen. Wir alle kennen wohl die schwarz-weißen Bilder von Stofftieren, die im Dreck liegen, die oft als Titelbilder für Artikel verwendet werden, in denen es um sexuelle Gewalt an Kindern geht. Es gibt auch viel reißerische Literatur zum Thema, die darauf setzt, Lesende mit detaillierten Beschreibungen von sexuellem Missbrauch zu schocken. Das ist nicht nur billig, sondern auch respektlos gegenüber Überlebenden von sexueller Gewalt.

Deshalb hat mich interessiert, wie Antje Rávik Strubel sich der Thematik annähert. Auch wenn ich andere Bücher gelesen habe, die sich mit sexueller Gewalt auf eine Art beschäftigen, die mich persönlich eher trifft, schafft es Blaue Frau, eindrücklich zu beschreiben, welche Spuren Gewalt hinterlässt, aber vor allem, wie viel Kraft und Stärke Überlebende von sexueller Gewalt in sich tragen. Interessant fand ich auch den Landesgrenzen-übergreifenden Aspekt. Wie wird das Thema sexuelle Gewalt zum Beispiel in Finnland oder Tschechien betrachtet? Welchen Stellenwert hat das Thema in verschiedenen Ländern, auch strafrechtlich? Auch die Beschreibungen unterschiedlicher Orte habe ich als detailliert empfunden. Ich konnte in meiner Fantasie an diese Schauplätze reisen.

Übrigens spielt auch das Thema Geschlechtsidentität eine Rolle – ein weiterer Aspekt, der mich an diesem Buch interessiert hat:

„Hast du nicht erst heute Morgen geduscht?“ Das ist Leonides. Leonides, der annehmen musste, Frauen machten das so, sie duschten mehrmals am Tag, auch wenn sie keine Frau ist. Aber das hat sie ihm nie gesagt, das konnte er nicht wissen, und ein Mann ist sie auch nicht, kleiner Mohikaner, denn solche Unterscheidungen trifft sie nicht, weil sie nichts taugen, unnütze Notwendigkeiten, die sich andere ausgedacht haben.“

Antje Rávik Strubel, Blaue Frau

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