Bitte beachte die Content Note, die für alle Inhalte auf dem Blog gilt.

1984.

Das ist das einzige, was sie nicht können. Sie können dich zwingen, alles zu sagen – alles –, aber sie können dich nicht zwingen, es zu glauben. Sie haben keine Macht über dein Inneres. (…) Wenn du fühlen kannst, dass es sich lohnt, ein Mensch zu bleiben, sogar, wenn damit faktisch nichts erreicht wird, hast du ihnen doch ein Schnippchen geschlagen.

George Orwell, 1984

1984 beschreibt, wie Menschen unter totalitären Staaten leiden und wie einzelne versuchen, der totalen staatlichen Überwachung zu entgehen und sich dagegen zu wehren. Die gesellschaftliche Ordnung wird in 1984 von der kriegstreibenden Partei Ozeaniens aufrechterhalten, die „der große Bruder“ anführt. Die Partei kontrolliert nicht nur, wie die Menschen leben, wo und wie sie arbeiten, sondern löscht auch die Vergangenheit wie sie wirklich war aus und schreibt sie neu. In das Privatleben der Bewohner*innen Ozeaniens greift sie massiv ein, zum Beispiel indem sie Unterhaltungen mithilfe spezieller Apparate überwacht.

Sex hat man in diesem Staat nur unter besonderen, geregelten Umständen, und zum Zweck der Fortpflanzung. Alle Energie soll nämlich in das Vorantreiben des Kriegs fließen, nicht in Zerstreuung. Die Versorgungslage im Staat ist schlecht und es mangelt häufig an den nötigsten Lebensmitteln. Die Partei verdreht aber die Tatsachen und redet den Bewohner*innen ein, dass die Versorgung immer besser wird. Es gibt eine Untergrundbewegung, die plant, sich gegen die Partei aufzulehnen. Protagonist Winston will sich dieser Bewegung anschließen.

In 1984 lernt man Winstons Alltag kennen und erfährt mehr über die politischen Umstände in Ozeanien. Später wird geschildert, wie sich zwischen Winston und Julia, Mitglied in der sogenannten „Anti-Sex-Liga“, eine Beziehung entwickelt. Die beiden schaffen es, unbemerkt von der allgegenwärtigen staatlichen Beobachtung, ein Zimmer anzumieten. Dort können sie eine Art Beziehung führen und Sex haben. Den Raum füllen sie auch mit Gegenständen aus „der alten Welt“, die nur noch in Erinnerungen existiert.

Julia und Winston haben sehr unterschiedliche Einstellungen dem Staat gegenüber. Während Julia das System hinnimmt wie es ist und immer wieder Schlupflöcher für ihr persönliches Vergnügen ausnutzt, will Winston es zerstören. Es kommt wie es kommen muss: Die Beziehung fliegt irgendwann auf.

Was dann folgt, fand ich damals, als ich das Buch vor 15 Jahren zum ersten Mal gelesen habe, wirklich erschütternd: Die beiden werden so lange gefoltert und mit ihren schlimmsten Ängsten konfrontiert, bis sie einander verraten, um selbst dem Tod durch ihre persönlichen schlimmsten Ängste zu entgehen. Das ist grausam. Ich erinnere mich aber daran, dass ich das aber weniger schockierend fand als die Tatsache, dass Winston vom „großen Bruder“ persönlich so lange gefoltert wird, bis er seine eigenen Grundüberzeugungen, die seinen Blick auf die Welt prägen, verrät und seinen Geist öffnet für „Doppeldenk“.

Das ist Parteisprech ist und bedeutet so viel, wie die Aufgabe der Fähigkeit, an eigenen Prinzipien festzuhalten. Sicher, 2 + 2 = 4. Oder 5. Oder 3. Es ist alles möglich. „Der große Bruder“ weiß es und wir hinterfragen es nicht. Damit wird Winston durch die Folter etwas genommen, das ihn zum Menschen macht – klare Überzeugungen und Prinzipien.

Am Ende wird er trotzdem hingerichtet, und zwar obwohl die Partei ihn gebrochen hat. Das ist in meinen Augen sinnlos und grausam. Ich habe mich gefragt, ob das auch noch nötig ist und ob er nicht genug erniedrigt wurde. Die Antwort lautet wohl: ja, ist es – und zwar aus Prinzip. Denn wer den „großen Bruder“ verrät, ist und bleibt ein Verräter.

Das Buch macht mich, auch 15 Jahre nachdem ich es zum ersten Mal gelesen habe, immer noch wütend. Und zwar alles daran. Dass die Mehrheit der Bevölkerung mitspielt und das mit sich machen lässt, Charaktere wie Julia, die das System nur ausnutzen und davon in gewisser Weise profitieren ohne etwas verändern zu wollen. Dass Geschichte neu geschrieben wird. Der Mangel an Privatsphäre, von menschlicher Wärme und Empathie. Die Nicht-Existenz von Kunst, von allem, was schön ist und Trost spendet, von freiem Denken … Ich könnte noch weiter machen, aber ich denke, man versteht, worauf ich hinauswill. 1984 löst starke Emotionen – in meinem Fall vor allem Widerwillen, Wut und Fassungslosigkeit – aus.

Und das Buch ist zeitlos und auch heute immer noch hochrelevant. Denn es verdeutlicht, was passieren kann, wenn Staaten übermächtig werden und welche Rolle Technologie dabei spielt. Woran ich mich ebenfalls, auch nach so langer Zeit, noch erinnere, sind die detaillierten Beschreibungen des kleinen Zimmers, in dem Winston und Julia ihre „Liebes“beziehung führen. Die Beschreibung des Geruchs von Kaffee, den sie heimlich aufbrühen. Ein leise abgespieltes Musikstück aus einer anderen Zeit. Auch die eigens geschaffenen Vokabeln, die die Partei noch bedrohlicher – und realistischer – wirken lassen, haben sich eingeprägt. Die Wirklichkeit wurde in diesem Werk also um genau das richtige Maß verfälscht – es sind viele Parallelen zur echten Welt erkennbar.

Dieser beitrag Gefällt dir?

Dann unterstütze Gedankenflux!

From my little alien heart directly to you: Unterstütze diesen Blog, wenn du in Zukunft noch mehr Beiträge wie diesen lesen willst – mit einer Ko-fi-Spende! Ich freue mich über jeden Betrag sehr, auch über wenige Euro. Vielen Dank 👽